SIMULTANHALLE - Raum für zeitgenössische Kunst, Köln
In seiner neuen filmischen Arbeit „Das ist dunkel/Das ist hell“ erarbeitet Tobias Yves Zintel (*1975 in Passau) entlang einer kaleidoskopartigen Verschachtelung von dokumentarischen Aufnahmen die Grenzen von historischen Ereignissen und bricht ihre Lesbarkeit und Unterscheidbarkeit. Interviews seiner eigenen Eltern, die mit Aufnahmen seines eigenen Sohnes vermengt werden, erzeugen Momente der Transgression in den Erzählungen aus der Vergangenheit, verleihen ihr eine genetische Ontologie, die Elemente der Vererbung, Übertragung, Ansteckung in sich trägt. Dabei werden Erinnerungen zum Schaubild der fundamentalen Instabilität von Pfeilern des Selbst, welche sich nicht in einem transzendenten Ereignis verorten, das überzeitlich und ewig die Vergangenheit setzt. Vielmehr wird sichtbar, wie sich eine jede Erzählung in ihre vielfachen Teilchen aufspaltet, die durch Zeiten und Orte, Hemisphären und Dimension fliegen. Auf ihrem Weg verirren sich diese Wanderungen jedoch nicht weiter weg vom eigentlichen Ereignis, sondern manifestieren dieses zuallererst. In diesem Modus gehen Gespräche und Versuche des Erinnerns in eine flüssige Form über, die sich mit Mythen und Analogien vermengt, an ihnen scheitert und sich an ihnen auflädt. Diese Grammatologie der historiographischen Werkzeuge lässt eine Geschichte als instabil und vehement nicht-linear bewusst werden. Retardierende Anläufe für das Erzählen einer Begebenheit, die bei jeder Ausformulierung unterschiedliche Pfade einschlägt und sich in ihrer Leserichtung fortlaufend überlappt. So wie Frau Hitt zur steinernen Reiterin wurde, nachdem sie einem Bettler einen Stein zum Essen gab, erstarrte auch Lots Frau zu Salz, als sie sich Richtung Sodom wandte, ähnlich Orpheus, der seine geliebte Eurydike auf dem Weg aus der Unterwelt heraus endgültig verlor, weil er sich ihrer vergewissern wollte. Zintels Arbeit zerlegt diese sprachliche Richtungsweisung und hebelt ihren Lauf aus, indem er seine dokumentarische Praxis sowohl an den Methoden der Oral History sowie der ästhetisch-ornamentalen Formatierung ausrichtet. In der Vermengung der beiden Bereiche operiert seine Quellensuche als relationales Gefüge, welches familiäre Zusammenhänge mit historischen Erzählungen überpersöhnlicher Relevanz vereint. Seine Interviews und die Versuche ihrer Protagonisten, die jeweils eigene Position zu verorten, geraten zu einem klebrigen Versuch, der die eigene Vergangenheit als Montagetechnik aufscheinen lässt.
Für Zintel bedeutet dies, dass Kompetenz und Legitimität des Wissens, welche innerhalb seines Filmes verhandelt werden, die zentralen ästhetische Faktoren sind. Die Dimension des Erinnerns wird als zutiefst prekäres Mittel aufgegriffen, das nur in seiner post-mediatisierten Form durch Repräsentationen in Orten und Erzählungen magisch heraufbeschworen wird, selbst aber nie in seiner naturalisierten Variante erscheinen kann. Anstatt eine als absolut geltende Wahrheit ans Licht zu bringen, bricht sich die Erscheinung durch Nebeneinanderlegungen, Konjunktionen, Disruptionen und Einblendungen, Überlagerungen und Übergänge mehrfach. Der Wert seiner künstlerischen Praxis liegt dementsprechend darin, nur durch diese je spezifische Zusammenschau, diese Synopse von divergierenden Realitäten und Zeitlichkeiten, ein höchst momentanes und partikulares Zwischenergebnis für eine nie als abgeschlossen geltende Untersuchung zu liefern. Zintels Resultate sind daher laufende Hypothesen für ein mögliches Archiv und legen jenes in seiner fundamentalen Struktur als vielfach gebrochen, nicht-linear und relational zwischen Ereignissen und Personen an.