September 22 - December 15, 2018

Sabine Hornig

Ich bin ein Riss, ich will durch Wände gehen

Salon Dahlmann, Berlin

Das Tier hat sich ein weit verzweigtes Netz aus Gängen und Höhlen unter der Erde geschaffen. Sein Bauwerk scheint gut geraten. Und dennoch ist es von der steten Angst beherrscht, der Bau sei nicht perfekt genug um Feinde oder Störenfriede davon abzuhalten, in die Anlage einzudringen.

Franz Kafkas Erzählung, „der Bau“, Mitte der 1920er Jahre entstanden, fällt in eine Zeit, als sich, beschleunigt durch die industrielle Revolution, das bürgerliche Heim des 19. Jahrhunderts mitsamt seinem Lebensentwurf atomisiert. Die psychischen Störungen, die mit der Transformation der räumlichen und gesellschaftlichen Ordnung einhergingen und sich beispielsweise in vielfältigen Raum-Phobien äußerten, behandelte Sigmund Freud zwar noch im alten bürgerlichen Setting aus Fauteuils, wuchtigen Sofas und schweren Teppichen. Gleichzeitig begannen Architekten und Stadtplaner neue Wohn- und Stadtkonzepte zu entwickeln, um die Bewohner der Metropolen fit für das 20. Jahrhundert zu machen und nicht nur die Krankheiten der alten Städte mit ihren Raumordnungen zu beseitigen, sondern auch Mythos, Irrationalität und Tyrannei. Dadurch geriet der Raum als umbauter, symbolischer und psychischer Ort in die gesellschaftlichen Debatten des 20. und 21. Jahrhunderts. 

Die architektonischen Ideen und Modelle, die sich beispielsweise in Loos „Raumplan“ oder Le Corbusiers „espace idicible“ formulierten, waren nach dem Zweiten Weltkrieg nur ferne Echos einer auch an sich selbst gescheiterten Moderne. Der Raum wurde in der Folge zum Leit- und Kampfbegriff der späten sechziger Jahre, um nun wiederum die nächste überkomme soziale Ordnung zu analysieren und dann den Versuch zu unternehmen, diese zu beseitigen. 

Dank der damals entwickelten Konzepte zum Verständnis unserer Beziehung zum Raum, können wir heute feststellen, daß dieser keine homogen feststehende Struktur ist. Wir leben in zersplitterten wie in vernetzten Raumgefügen und in virtuellen Räumen; wir durchqueren territoriale Räume, bevölkern Plätze oder suchen der Öffentlichkeit entzogene Rückzugs-Räume auf. 

Wie sich die Kunst in das Verhältnis zum Raum setzt, zeigt die Ausstellung „Ich bin ein Riss ich will durch Wände gehen“, die Arbeiten aus den Sammlungen Peters-Messer und Miettinen zusammenführt. Monica Bonvicini und Manfred Pernice verbinden ihre Objekte und Installationen zu einem Referenzsystem in dem Körper, Räume und Objekte eng miteinander in Verbindung stehen. Mit der Zeichnung „Caged Tools“ von Bonvicini und den Fragmenten eines Abrisshauses bei Pernice „o.T. (hässliche Luise)“ tragen sie den Sound der Stadt in die Ausstellung.

In der 1979 begonnen fotografischen Serie „unconcius places“ inszeniert Thomas Struth durch die Dokumentation verwaister Stadtlandschaften diese Leerstelle als psychologisches Profil ihrer (abwesenden) Bewohner. Theo Altenbergs Fotografie einer Massenzene im Friedrichshof („Nach den Selbstdarstellungen“) zeigt, dass Krieg und die Krise der Moderne in dem Versuch mündete, Räume und Körper zu befreien. Dem gegenüber steht Florian Slotawas Materialassemblage aus Wohnungsfenster und Waschmaschine als Monument einer normativen kleinbürgerlichen Häuslichkeit. Im ländlichen Raum definieren sich Bushaltestellen als transitorische Orte, die der Vorstadtjugend als Treffpunkt dienen, und der Bus in die Stadt befreit sie aus der kleinstädtischen Enge. Sabine Hornigs brutalistischer Baukörper “Bus Stop” erscheint gleichzeitig als Schutzraum wie Bühne und bildet damit das Setting für Tom of Finlands posierende „California Men“.

Das Unbehangen in der modernen Architektur bildet Ola Kolehmainen mit der Fotografie „Library 1“ ab. Die Arbeit zeigt das vergrößerte Negativ einer Raumansicht der Alvar Aalto Bibliothek in Vyborg, deren zentrales Objekt ein Oberlicht bildet, das als schwarze runde Scheibe den Bildraum beherrscht. 
Im zentralen Berliner Zimmer des Salons durchqueren Erik van Lieshout in seiner zuerst auf der 4. Berlin Biennale gezeigten Rauminstallation „Rotterdam - Rostock“ und Michael Rutschky mit der Fotoserie “Unterwegs im Beitrittsgebiet (1-50)” zu unterschiedlichen Zeiten die Territorien West- und Ostdeutschlands. Als Chronisten und Beteiligte setzen sie sich in Beziehung zu den Menschen und Architekturen der Städte, der Peripherien und ländlichen Räume und zeigen, wie sich soziale und politische Verhältnisse in Raum und Zeit stetig verändern und neu verknüpfen.

» Salon Dahlmann

Impressum Datenschutz
Diese Website verwendet Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung